
Der BaumInvest Blog
„Wir sägen uns den eigenen Ast ab“
Weltweit lässt sich kaum mehr ein Ökosystem finden, in dem keine Spuren menschlichen Wirkens zu entdecken sind, über eine Million Tierarten sind vom Aussterben bedroht, ganze Wälder werden gerodet – die Biodiversität ist in Gefahr. Wie können Wälder dem entgegenwirken? Das haben wir Holger Kreft gefragt, Biologe und Professor an der Georg-August-Universität in Göttingen.
Zur Person
Holger Kreft, 45, hat Biologie und Geografie an der Universität Bonn studiert. Seit zwölf Jahren ist er Professor an der Georg-August-Universität in Göttingen. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Makroökologie.

Bild: Universität Göttingen, Christoph Mischke
BaumInvest: Experten und Medien sprechen ja gerne in Uhrzeiten, wenn sie verdeutlichen wollen, wie ernst es um eine Sache steht: Es ist fünf vor zwölf! Wieviel Uhr haben wir im Hinblick auf die weltweite Biodiversität?
Holger Kreft: Die Probleme des Klimawandels haben viele Menschen erkannt – genauso müsste es auch bei der biologischen Vielfalt sein. Der Unterschied ist eben, dass der Klimawandel hautnah zu spüren ist: durch Wetterextreme, durch steigende Durchschnittstemperaturen. Bei der Biodiversität aber kennen viele Menschen noch nicht einmal die Arten, die vor ihrer Haustüre wachsen und leben. Und wenn eine Tierart ausstirbt, spürt man die Folgen auch nicht direkt am eigenen Leib. Ich glaube aber, prinzipiell haben wir es verstanden, dass wir handeln müssen. Und um eine Uhrzeit zu nennen: Für viele Arten ist es bereits längst nach zwölf, weil sie ausgestorben sind, etwa der Dodo. Insgesamt haben wir aber noch vor zwölf, wir haben noch viele Optionen. Wichtig ist, dass wir Ökosysteme aktiv wiederherstellen.
BaumInvest: Etwa Wälder. Welche Rolle spielen gesunde Wälder für die Biodiversität?
Holger Kreft: Wälder sind global gesehen die Hotspots der Artenvielfalt: Pilze, Tiere, Pflanzen – rund 80 Prozent der weltweiten Biodiversität ist in Wäldern zu finden, insbesondere in Tropenwäldern …
BaumInvest: … wovon aber leider sehr viele gerodet werden.
Holger Kreft: Die Entwaldung des Planeten muss gestoppt oder zumindest drastisch reduziert werden. Zeitgleich müssen neue Wälder entstehen beziehungsweise aktiv aufgeforstet werden. Denn in manchen Gebieten, in denen Wälder einst gerodet wurden und schlicht weg sind, sind Böden zum Teil so stark degradiert, dass sie sich ohne aktive Aufforstungsbemühungen nicht wieder etablieren können. Aufforsten ist ein langfristiges Geschäft, daher ist auch Geduld gefragt. Hat man allerdings ein gesundes Waldklima mit einer gefestigten Waldstruktur geschaffen, ist die Bedingung dafür geschaffen, dass sich der Wald wieder mit Tieren füllen kann.
BaumInvest: Die kommen dann von ganz allein?
Holger Kreft: Manche kommen automatisch, wenn etwa Restwälder oder Restpopulationen vorhanden sind. Geschickt ist es, beim Aufforsten Korridore und Schutzgebiete zu schaffen, Wälder angrenzend an bestehende Nationalparks zu legen. So kann man die lokale Population unterstützen. Manche Tierarten kommen schnell zurück, andere brauchen schrecklich lange.
BaumInvest: Eine höhere Tiervielfalt bringt für den Wald selbst ja auch wieder Vorteile mit sich, wenn man nur mal an die Vögel denkt, die Samen verteilen, also für das Wachstum weiterer Bäume sorgen.
Holger Kreft: Dazu gibt es viele gute Studien, die die positiven Effekte einer hohen Biodiversität auf den Wald zeigen. Wer ein intaktes Ökosystem fördern will, muss langfristig einen Prozess erreichen, dass der Wald wächst, anpassungsfähig ist, robust und widerstandsfähig wird. Also dass er nicht umknickt, wenn ein Sturm über ihn hinwegfegt, oder er vertrocknet, weil die falschen Baumarten zur Aufforstung ausgesucht wurden. Eine hohe Biodiversität stärkt den Wald.
BaumInvest: Woran erkennt man denn ein intaktes Ökosystem?
Holger Kreft: Das ist nicht so leicht zu fassen. Man kann sich aber etwa die Artenvielfalt innerhalb eines Ökosystems anschauen, schauen, ob die Arten, die man dort erwarten würden, noch da sind – und in welcher Zahl. Manche Arten sind eindeutige Parameter dafür, dass etwas im System nicht stimmt, wenn sie daraus verschwunden sind …
BaumInvest: … etwa der Jaguar, der in Costa Rica eine Indikator-Art ist: Dem Jaguar geht es nur gut, wenn das Ökosystem um ihn herum intakt ist – sonst haut er ab.
Holger Kreft: Ein anderes Beispiel sind Papageien. Wenn die mancherorts fernbleiben, fehlen sie als wichtige Samenverteiler – mit Langzeitfolgen für die Pflanzen.
BaumInvest: Wenn wir gerade schon bei Folgen sind: Was geschieht, wenn die Biodiversität weltweit abnimmt?
Holger Kreft: Ein Expertengremium hat sich vor zwei Jahren zusammengetan und festgestellt, dass knapp eine Million Tierarten vom Aussterben bedroht sind. Wir sprechen heute auch von einer sechsten Aussterbewelle. Immer mehr Indizien sprechen dafür, dass wir am Anfang dieser Welle stehen. Sie ist vergleichbar mit Erdepochen, in denen etwa die Dinosaurier ausgestorben sind. Jede Art, die ausstirbt, ist weg. Sei es eine Pflanze oder ein Tier. Damit verlieren wir sie auch als Stützen von Ökosystemen.
BaumInvest: Gibt es auf unserem Planeten überhaupt noch gesunde Ökosysteme?
Holger Kreft: Es gibt noch unberührte boreale Nadelwälder oder Tropenwälder, manch ein Gebirge oder eine Wüste. Im Großen und Ganzen gibt es aber kaum mehr ein Ökosystem, in dem nicht menschliche Spuren zu sehen sind. Denken wir nur mal an Mikroplastik.
BaumInvest: Was machen wir also mit der Menschheit? Wenn es ginge, einmal alle kräftig durch- und wachrütteln?
Holger Kreft: Wie eingangs erwähnt glaube ich, dass es viele Menschen kapiert haben, etwas unternehmen zu müssen. Die Vereinten Nationen etwa haben die Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen ausgerufen. Ein Bewusstsein ist da. Und jeder kann handeln, beispielsweise den eigenen Garten nicht in eine Steinwüste zu verwandeln, sondern ihn biodivers anzulegen. Wenn wir Biodiversität nicht schützen und fördern, sägen wir uns den eigenen Ast ab, auf dem wir sitzen.
Melden Sie sich an!
Verpassen Sie keine Neuigkeiten mit dem regelmäßigen BaumInvest-Newsletter!